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Nazi-Opfer an Münsters Uni

Münsters Uni wird braun

Einfach so vernichtet:
Ein 1.000-Seiten-Wälzer des Uni-Archivs
recherchiert aufwändig
die Biographien von Nazi-Opfern an Münsters Hochschulen

Für die Nazis war das erzkatholische Münster immer ein hartes Pflaster. Doch nachdem die NSDAP bei den Kommunalwahlen 1933 überraschend 40 Prozent der Stimmen holte, gewann auch der NS-Studentenbund schnell an Einfluss. Die braunen Studis wollten den aus Nazisicht „belasteten Ruf Münsters“ retten, indem sie sich durch besonders eifrige Linientreue auszeichneten. So errichteten sie in Münster als einer von deutschlandweit nur fünf Unistädten einen „Schandpfahl“, an dem „jüdische“ Literatur angeprangert wurde.

Dicke Fleißarbeit

Im Zuge der ideologischen Gleichschaltung wurden in der Folgezeit missliebige Studenten nach und nach aus Münsters Uni entfernt. Für viele bedeutete dies das Ende der Karriere und einen schweren Bruch ihrer Biographie. Davon erzählt ein Buch: In der Reihe der Veröffentlichungen des Uni-Archivs haben Archivleiterin Sabine Happ und Co-Herausgeberin Veronika Jüttemann eine unglaubliche Fleißarbeit hingelegt: Auf über tausend (!) Seiten erzählt das ziegelsteinschwere Werk Es ist mit einem Schlag alles so restlos vernichtet die Geschichten der während des Nationalsozialismus in Münster zwangsexmatrikulierten Studenten: 7 evangelische und 7 katholische Theologiestudenten, 13 Juristen und 6 Politologen, 41 Mediziner, 23 Geistes- und 12 Naturwissenschaftler.

Unter Spitzeln

Akribisch haben die Autoren die Biographien von Betroffenen recherchiert. 1937 wurde der Theologie-Doktorand Ludwig (Ordensname: Pater José) Endres vom Studium an allen deutschen Unis ausgeschlossen. Der Konflikt mit dem Regime begann im katholischen Studentenheim am Breul, wo die Bruchlinie zwischen Katholiken und Nazis so hart auftrat, wie kaum anderswo in Münster, weil vor allem österreichische und ungarische Auslandsstudenten glühende Hitleranhänger waren, das Heim andererseits aber auch als Zentrale katholischen Widerstands galt.

Der Heimleiter verbot das Hissen der Hakenkreuzfahne und nannte die NSDAP eine „dämliche Partei“, wie ein Spitzel meldete. Die Polizei vermerkte, dass die meisten Bewohner „Kritikaster und Miesmacher“ seien. Doch dann drehte sich der Wind und eine neue Leitung schränkte den Spielraum für Nonkonformisten drastisch ein.

Plötzlich tauchten anonyme Briefe auf, die sich bei höheren Stellen über die Oberin des Heims beschwerten und ihre sofortige Entlassung wegen Misshandlung der Schwestern forderten. Unterschrieben waren sie mit „SS-Liga für Humanität und Menschenrecht“. Geschickter Schachzug oder bösartige Denunziation? Endres wurde jedenfalls als Verfasser enttarnt und setzte sich ins Ausland ab.

Der ,,Mischling"

In einen Fall schaltete sich der „Führer“ sogar persönlich ein: SA-Mann Fritz Hemmer bestand 1936 sein zahnärztliches Staatsexamen. Doch dann erhielt er Post vom Innenministerium: Das Verbot der Arztzulassung. Grund: Seine Großeltern mütterlicherseits waren „Halbjuden“, damit fiel er unter die Nürnberger Rassegesetze, die für „Mischlinge“ Berufs- und Heiratsverbote vorsahen. Doch Hemmer wendete sich schriftlich an das Innenministerium und bat um Befreiung von den Verboten.

Fünf Jahre brauchten die Behörden, um seinen Antrag zu bearbeiten, in dieser Zeit war er arbeitslos. Im Februar 1943 erhielt er die Antwort: „Der Führer hat entschieden, dass Fritz Hemmer als Mischling 2. Grades zu behandeln ist.“ Seine Approbation und Doktorurkunde bekam er trotzdem nicht, anders als sein Bruder Willi, der ebenfalls Einspruch eingelegt hatte und seine Arztzulassung nach dem ,,Führerentscheid“ anstandslos erhielt. Immerhin dauerte es nun noch zwei Jahre - nämlich bis nach Kriegsende - bis auch Fritz heiraten und eine Arztpraxis eröffnen konnte.

Ab nach Dachau...

Weniger Glück hatte Richard Gerber. Dem promovierten Studienreferendar wurden zunächst Doktortitel und Lehrerstelle wegen nach Paragraph 175 verbotener homosexueller Handlungen entzogen, anschließend landete er in Haft und dann im Konzentrationslager Dachau. Sein Glück war, dass er von der Gestapo als „Berufsverbrecher“ und nicht als Homosexueller kategorisiert wurde, denn diese wurden meist Opfer übler Schikanen, während Kriminelle von der SS eher bevorzugt wurden.

Doch als er nach seiner Befreiung nach Kriegsende hoffte, nun doch wieder als Lehrer für neuere Sprachen unterrichten zu können, teilte ihm das Dekanat der Philosophischen Fakultät der Uni Münster mit, die Entziehung sei rechtens gewesen! Nach einer erneuten Verurteilung wegen homosexueller Handlungen (der Paragraph 175 bestand fort), entzog ihm die Uni Münster abermals den Doktortitel. Seine Ersatzansprüche wurden abgelehnt. Gerber starb 1967 krank in Süddeutschland.

Rote Liebe

Im Februar 1935 fiel Münsters Bürgertum aus allen Wolken, als der Sohn des hoch angesehenen Landgerichtspräsidenten - Klassenbester im Abitur und erfolgreicher Chemiestudent - als Rädelsführer einer konspirativen linken Widerstandszelle und Urheber kommunistischer Flugblätter enttarnt wurde! Niemand hätte für möglich gehalten, dass der Junge aus einer honorigen Juristen-Dynastie ein roter Umstürzler sein könnte.

Tatsächlich hatte Arnold Münster aus dem Kreuzviertel die junge Kommunistin Annemarie Heuß aus Klein Muffi kennengelernt und war oft heimlich bei der Familie zu Gast, deren Mutter Anna seit 1923 Funktionärin der KPD war. Der Rest war Liebe, jugendliches Temperament und die eher katholisch motivierte Aversion gegen die Nazis. Nach „verschärften Vernehmungen“ durch die Gestapo gestand Arnold Münster und wurde zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.

Der falsche Leutnant

Ein anderer „Verschwörer“ wurde lediglich Opfer seiner eigenen Idiotie: Der Student wollte der Familie seiner Angebeteten imponieren - und gab sich dreist als Generalleutnant aus. Um noch eins draufzusetzen, behauptete er nach ein paar Gläschen Wein auch noch, mit prominenten Generälen an einer Verschwörung zu einem Attentat auf Hitler beteiligt zu sein! Feldmarschall Keitel habe den Plan jedoch persönlich verraten und nun erwarte ihn wohl das Todesurteil. Die Schwiegereltern in spe bekamen kalte Füße und zeigten ihn an. Doch selbst der NS-Justiz kam die Aufschneiderei wohl derart abstrus vor, dass die Strafe eher milde ausfiel. Von der Uni flog er trotzdem.

Von den zwangsexmatrikulierten Studenten und Lehrkräften verübten zwei Selbstmord, sechs starben im Konzentrationslager, 27 flohen ins Ausland, drei fielen als Soldaten an der Front.

Carsten Krystofiak

Sabine Happ, Veronika Jüttemann (Herausgeberinnen): „Es ist mit einem Schlag alles so restlos vernichtet - Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Münster“. Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster, Band 12, 1.052 Seiten mit Abbildungen, 39 Euro

 (aus Ultimo Münster 10/2018)